#16 – Der erste Tag

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen auf der Rückfahrt von Frankfurt den Tesla wie ein ganz normales Auto selbst zu lenken. Kaum bin ich auf der Autobahn, ist der Vorsatz vergessen und ich ziehe den Tempomathebel zweimal zu mir „Dingdong“, der Autopilot übernimmt und das Model S gleitet vor sich hin. Anscheinend hat der Wagen gemerkt dass ich mir meiner Sache nicht so ganz sicher bin und verlangt dass ich ein Lebenszeichen von mir gebe. Ich hatte das Lenkrad sowieso nicht ganz losgelassen und umfasse es jetzt mit beiden Händen etwas fester, das reicht dem Lenkassistenten aber nicht und er schaltet sich mit einem Warnton ab „Düdümm“. Ich probiere das ganze noch ein paar mal, bis im Display sinngemäß steht „für diese Fahrt ist der Autopilot nicht mehr verfügbar“  – ok, das sehe ich ein – lenk ich halt selbst.

Herr Weber hatte mir schon im Servicecenter meine Heimadresse ins Navi eingegeben, es zeigt mir nicht nur an, wie weit es noch ist, wie lange die Fahrt noch dauern wird und wann ich ankommen werde, sondern auch dass am Ziel noch 42% Energie im Akku übrig sein sollten.

Vor dem Hockenheimer Dreieck will das Navi mich über eine neu gebaute Bundesstraße, die meine alte E-Klasse garnicht kennt, zur A5 umleiten. Pfff, was soll denn das? Ich kenne die Strecke besser und fahre geradeaus weiter – in einen Stau. Es ist zum Glück kein richtiger Stau, sondern eher zähfließender bis stockender Verkehr der sich vom Hockenheimer Dreieck bis zum Walldorfer Kreuz zieht. Das ist auf der Strecke völlig normal, hätte ich mir auch denken können, die Ausweichroute über die neu gebaute B535, die fast durchgehend 4spurig und ohne Ortsdurchfahrten zur A5 führt, wäre eine gute Alternative zu diesem Gezuckel gewesen.

Das gibt mir Gelegenheit den Lenkassistenten nochmal auszuprobieren, ich hatte kurz auf einem Parkplatz angehalten und so die Fahrt beendet auf der der Autopilot sich nicht mehr einschalten lassen wollte, jetzt geht er wieder. Das Auto fährt selbständig im stockenden Verkehr mit, hält an, fährt wieder an, beschleunigt und verzögert wieder – alles automatisch. Wow! Dafür ist der Autopilot (AP1) wirklich optimal. Ich lasse das Assistenzsystem das nervige Gezuckel erledigen während ich nur beobachte und bereit bin im Fall eines Falles einzugreifen. Ich bin so begeistert, dass ich meine Frau anrufe die direkt hinter mir fährt um ihr mitzuteilen „…der fährt von selbst…“.

Immer wieder merke ich wie andere Verkehrsteilnehmer neugierig rübergucken. Im stockenden Verkehr ist das keine Problem, aber ich hatte auf der Strecke auch schon ein paar Autofahrer die statt vorbeizuziehen, neben mir langsamer geworden sind oder gar eine Weile nebenher gefahren sind um einen Blick auf den Tesla zu werfen. Einer hat sich sogar von rechts angepirscht um dann mal ganz genau zu gucken, logisch, von der Seite aus sieht der Fahrer ja auch alles besser. Das bin ich von meinem alten Allerweltsmercedes nicht gewohnt, es stört mich zwar nicht weiter, aber ich denke mir „wenn ihr so neugierig seid, dann macht doch mal eine Probefahrt“. Tja, das könnte dann aber teuer werden! Das geglotze im fließenden Verkehr aber auch, wenn es dumm läuft.

Nach dem Kreuz Walldorf läuft es wieder besser, ich schalte den Autopiloten aus und lenke die paar Kilometer bis nach Hause wieder selbst. Daheim stellen wir beide Autos in unsere Doppelgarage, die wir in den letzten Tagen extra soweit aufgeräumt haben dass wieder zwei Autos reinpassen.

Die Gelegenheit für ein Gedenkfoto:
#16 - Der erste Tag_2.jpgvon links nach rechts: Mercedes-Benz E200CDI (W211) Bj. 2007, Tesla Model S60 Bj. 2016

Dann fahren wir zusammen wieder los, diesmal sitze ich auf dem Beifahrersitz. Das bin ich nicht gewohnt und fühle mich irgendwie deplatziert. Wenn wir zusammen fahren, sitze ich normalerweise grundsätzlich links – na hoffentlich reißt das nicht ein.

Eigentlich hatten wir, bevor wir auf eine Geburtstagsfeier fahren zu der wir eingeladen sind, noch einen kleinen Abstecher zu Verwandten geplant. Die noch vorhandene Akkuladung sollte das auch hergeben, aber die Reichweitenangst treibt uns zum SuC in Hirschberg, es ist immerhin unser erster Tag mit einem Elektroauto und wir wollen nichts riskieren. Hier laden wir für ca. 20min. und haben dann genug Saft um locker zur Party und dann nach Hause zu kommen. Die Zeit hat gerade so gereicht um im nebenan gelegenen Restaurant zur goldenen Möwe einen Kaffee zu trinken und einen biologischen Boxenstop einzulegen (den Begriff hab ich bei Horst Lüning gehört).

Auf der Fahrt vom SuC nach MA (Mannheim) zu unseren Freunden beschließen wir, kein Aufheben um unser neues Auto zu machen und nehmen uns vor nichts zu sagen, zumindest nicht bevor einer nach dem Tesla vor der Tür fragt.

Wir sind erst ein paar Minuten da, meine Frau hat sich gerade gesetzt und ein Gespräch begonnen, da fragt mich mein alter Freund Werner „Und? Was gibts neues?“ „Ich hab ein neues Auto!“ platzt es aus mir heraus und ich zeige ihm auf meinem Smartphone ein Foto. „Waas? Hast du dir einen Maserati gekauft?“ „Nein, das ist ein Tesla!“ „Der hat Elektroantrieb oder? Warte, ich hol meine Jacke, den muss ich mir ansehen!“

Beim ansehen bleibt es nicht, wir drehen eine Runde, Werner ist komplett begeistert. Wow, was haben die da für einen Bildschirm eingebaut? Mann, alles geht elektrisch! Ist der leise! Boa geht der ab! Er ist völlig begeistert, das einzige was er nicht so toll findet ist der Preis. Aber mit der Zeit werden die bestimmt billiger, spätestens wenn der kleinere Tesla kommt. Er kennt sich ganz gut aus und hat Tesla und seine Autos schon eine Zeit lang beiläufig beobachtet – jetzt aber in einem Model S zu sitzen und es zu erleben ist eine ganz neue Dimension für ihn.

Mittlerweile sind wir zurück und gehen wieder ins Haus. Alle wissen inzwischen von unserem Tesla – als Werner vorhin seine Jacke holte, hatte er kurz in den Raum gerufen „Die haben sich einen Tesla gekauft, ich geh mir den kurz angucken!“. Während wir begeistert ein paar Prozent der Akkuladung verfahren haben, muss sich meine Frau einigen Kritikern stellen „Diese Autos sind so leise, dass damit ganz leicht Kinder überfahren werden können!!!1elf“ oder „Das laden dauert doch ewig!“ sind so Vorurteile und Einwände die da angebracht werden.

Als ich ins Wohnzimmer komme empfängt mich mein alter Freund Dieter mit den Worten „Gabs da nix von Mercedes?“ und ich antworte „Nein, wir wollten zwar eigentlich eine E-Klasse, aber die hatten sie nicht in elektrisch! Also blieb uns keine Wahl – es musste ein Tesla sein!„. Wir unterhalten uns noch ein bisschen, dann bekomme ich langsam Hunger.

In der Küche fragt mich jemand den ich nur flüchtig von Geburtstagspartys bei Werner kenne „Du hast dir einen Tesla gekauft?“ „Ja!“ „Die haben den getestet, von Hamburg nach München ist es eine Weltreise, die haben dafür 12 Stunden gebraucht!“ Ich mache nur „Hmm…“ und lade mir etwas Chili auf meinen Teller. Diese Sprüche waren genau der Grund warum wir es eigentlich für uns behalten wollten.

Es wird ein schöner Abend mit einigen interessanten und einigen leicht nervigen Gesprächen über Tesla. Wir lassen uns aber nicht aus der Reserve locken, denn wozu sollten wir mit Hardlinern die gegen Tesla oder allgemein Elektroautos wettern in den Ring steigen? Die werden es schon noch früh genug merken, dass Elektroautos ernst zu nehmen sind, oder eben auch nicht! Kann uns letztendlich ja egal sein, unsere Mission ist es nicht Kritiker zu überzeugen, sondern eigene Erfahrungen zu machen.

Wie so oft, sind wir unter den letzten verbliebenen Gästen und machen uns erst weit nach Mitternacht auf den Heimweg. Da wir morgen relativ früh wieder los wollen und die Ladestation daheim zwar geliefert wurde aber noch nicht installiert ist, machen wir noch einen Abstecher zum SuC um unseren Akku auf 100% zu laden. Es wird zwar empfohlen nur bis 80 oder 90% zu laden, wir haben aber in unserem Model S einen neuen 75kWh-Akku, der softwaremäßig auf 60kWh begrenzt ist. Wenn wir also auf 100% laden, sind das physisch nur 80. Dem Akku wird dabei nicht geschadet, darin sind sich fast alle einig. Telsa möchte das wahrscheinlich nicht so ganz offen kommunizieren, da sonst wohl noch weniger Kunden die Freischaltung auf 75kWh für rund 10000 EUR ordern würden (aktuell wurde der Preis gerade auf 7750 EUR gesenkt, 21.01.17).

Nachts um 3 am Supercharger, wir sitzen im Auto, spielen mit der App rum und geben ein paar mal Lichthupe – über unsere Handys. Spielkinder! Für alle Fälle haben wir den Wagen verschlossen. Plötzlich ertönt ein Alarm!? Es dauert etwas bis wir merken dass das die Alarmanlage ist, wir machen sie schnell aus und sind froh, dass weit und breit niemand zu sehen ist. Der Akku ist voll, nix wie Heim und ins Bett. Leider kommen wir kurz vor unserem Zuhause noch in ziemlich dichten Nebel. So schleichen wir die letzten Kilometer heim, kommen aber sicher an und stellen den Tesla zum ersten mal über Nacht in unserer Garage ab.

Wir sind erstaunt, wie aufregend ein neues Auto sein kann. Schade dass die deutsche Premium-Autoindustrie diese Abenteuer ihren Kunden versagt und sich außerstande sieht konkurenzzfähige Elektroalternativen anzubieten. Jetzt gehen wir schnell schlafen um morgen weitere Abenteuer mit unserem neuen Spielzeug zu erleben.

6 Gedanken zu “#16 – Der erste Tag

  1. Sebastian sagt:

    „Diese Autos sind so leise, dass damit ganz leicht Kinder überfahren werden können!!!1elf“
    Das Argument ist nicht zu widerlegen. Verkauf den Tesla bitte sofort wieder, wo doch jeder weiß, dass es mit einem Benziner physikalisch absolut unmöglich ist, Kinder zu überfahren!!!
    Zum Beispiel die, die morgens auf dem Schulweg vor unserer Einfahrt lang gehen und ausnahmslos alle unseren Zweieinhalbliter überhören. Oder meine Tochter, die vor einem ordnungsgemäß haltenden Diesel-Trecker den Zebrastreifen überquerte und beinahe von einem illegal überholenden PKW abgeschossen worden wäre. Ganz klar, dass muss ein elektrischer gewesen sein, das aufheulende Motorgeräusch war garantiert nur Soundeffekt…

  2. WKMblogger sagt:

    @Sebastian
    Nee, ich geb den so schnell nicht mehr her, ich mach halt einfach die Musik lauter, hab ja das Soundpaket. Dann hört man mich schon auf 100m Entfernung 😉

  3. Klaus Schürmann sagt:

    All das habe ich auch schon gehört, denn ich hab seit Juli 2015 einen kleinen Elektroflitzer von Mitsubishi/Citroen/Peugeot, der aussieht wie eine 2mal in der Microwelle geschrumpfte A- Klasse.
    Die Leute vergessen, daß auch gute andere Autos fast geräuschlos herumrollen. Außerdemhabe ich schon oft mit dem kleinen C-Zero gehupt, um eine(n) I-phoneknöpfeimohrnichtshörer vor mir zu warnen, der übrigens auch ein normales Auto nicht hören könnte. Jetzt habe ich Ernst gemacht und auch nen Tesla bestellt…

  4. Peter Wiesenmaier sagt:

    Hallo
    Dein Blog gefällt mir. Ein Tesla wird es bei mir wegen fehlender Finanzen sicher nicht, aber ich hab mich in den Ioniq verliebt.
    Zum Thema „Kinder überfahren“: Mein Hybrid ist auch so leise, dass man aufpassen muss, dass man nicht „überhört“ wird. Mit der Zeit werden sich die Leute aber dran gewöhnen, dass man mit den Ohren nicht jedes Auto bemerkt. Alles eine Frage der Zeit.

  5. androwegner sagt:

    Die meisten Autos bemerke ich schon auf einige Entfernung anhand der Laufgeräusche der Reifen und der leichten Schwingungen, die sich auf die Fahrbahn übertragen. Die Motoren sind auch bei guten Verbrennern kaum zu hören. Deshalb konzentriere ich mich auf wenig befahrenen Strecken an schwer einsehbaren Kurven auf die Schwingungen, die durch den Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn entstehen. Ich schätze, dass Blinde das auch können. Nur Menschen, denen die natürlichen Instinkte fehlen, können das natürlich nicht.

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